Ein politischer Kopf

19. Januar 2023

Zum Tod des Rechtsanwalts und Antifaschisten Heinrich Hannover – Von Frank Schumann (junge Welt)

Wolfgang Otto war 73, pensionierter Lehrer, ein ehrenwerter, frommer Mann, feinsinnig und humanistisch gebildet, dem – so war in seiner Heimatstadt Geldern zu vernehmen – dieser Prozess vorm Landgericht Krefeld aufgrund seines vorgerückten Alters nicht zuzumuten sei. Wolfgang Otto habe damals in Buchenwald, wie von ihm gewohnt, gewissenhaft und korrekt in der Schreibstube des Lagers nur seine Arbeit verrichtet.

Mit Verlaub: Als SS-Stabsscharführer war er die rechte Hand des Kommandanten. Fünf Jahre lang. Und er hatte am 18. August 1944 mit vier Genickschüssen Ernst Thälmann ermordet. »Ist zu exekutieren«, hatte SS-Oberscherge Heinrich Himmler auf einer Liste hinter den Namen des KPD-Parteivorsitzenden gesetzt. Ach, das sei kommunistische Propaganda, bekam ich zu hören.

»… ist zu exekutieren. Ein Steckbrief der deutschen Klassenjustiz« hieß auch ein Buch, das der DDR-Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul in FDJ-Verlag Neues Leben herausgegeben hatte. Den Ermittlungsbehörden in der DDR war der Thälmann-Mörder bekannt, sie stellten einen Auslieferungsantrag, auf den nicht reagiert wurde. Auch in der Bundesrepublik war seit 1959 gegen Wolfgang Otto ermittelt, sechsmal das Prüfverfahren eingestellt worden. Der BRD-Rechtsanwalt Heinrich Hannover hatte zweimal bei Oberlandesgerichten Prozesse erzwungen, die aber wegen »unzumutbarer Belastung« des Angeklagten mit Freisprüchen endeten. Nun aber, Mitte der 80er Jahre, wurde vorm Landgericht in Krefeld wieder verhandelt. Heinrich Hannover trat als Nebenklagevertreter der Tochter des Opfers auf, er hatte das Verfahren mit einer Klage vorm Oberlandesgericht Köln erstritten.

Hier geht es zum Artikel in der jW: https://www.jungewelt.de/artikel/443092.nachruf-ein-politischer-kopf.html

Gedenkstätte Esterwegen: 29.01.2023, 15 Uhr -Paul Glaser erzählt die Geschichte seiner Tante

8. Januar 2023

Vortrag von Paul Glaser anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

Ein Schock durchfährt Paul Glaser während eines Besuches in Auschwitz, als er in einer Vitrine einen Koffer aus den Niederlanden mit seinem Familiennamen entdeckt. Für ihn ist dies der Augenblick, das bis dahin sorgsam gehütete Geheimnis der jüdischen Wurzeln seiner Familie zu enthüllen und die bisher geheim gehaltene unglaubliche Überlebensgeschichte seiner Tante Roosje bekannt zu machen. Er schreibt ein Buch und beginnt in Vorträgen die Geschichte zu erzählen.

Die temperamentvolle und emanzipierte Tanzlehrerin und Tänzerin aus den Niederlanden musste ihren Lebensmut gegen den nationalsozialistischen Terror verteidigen. Als die Deutschen 1940 die Niederlande besetzten, beginnen für die damals 25-jährige lebensfrohe Frau die schockierenden Erfahrungen mehrfachen Verrats durch niederländische Kollaborateure und ein Leidensweg durch sieben Konzentrationslager. Mit einem außerordentlichen Lebenswillen, dem Handeln aus dem Herzen heraus und mit großer Klugheit überlebte sie. Dazu erteilte sie den SS-Führern in Auschwitz Tanz- und Benimmunterricht und unterhielt sie mit Liedern, die sie vor Ort erdachte.

Paul Glasers Buch entstand aus Roosje Glasers Tagebüchern, Briefen und Fotos, Gesprächen und Recherchen in niederländischen Archiven. Es ist ein authentischer und emotionaler Lebensbericht. Aber die Geschichte erzählt auch vom Kampf zwischen Erinnern und Vergessen in einer Familie und von einem beharrlichen Bemühen des Autors, seine Familiengeschichte zu verstehen. Sie zeigt, dass es einen scharfen Unterschied zwischen Gut und Böse im Krieg nicht gibt.

Paul Glaser wurde 1947 in Maastricht geboren. Er bekleidete Führungspositionen in Bildungs- und Krankeneinrichtungen, etwa als Geschäftsführer niederländischer psychiatrischer Krankenhäuser. Er beteiligte sich an der Gründung eines Museums, eines Regionaltheaters und einer Montessori-Schule. „Die Tänzerin von Auschwitz“ ist sein erstes Buch für ein breites Publikum. Er will erreichen, dass diese Geschichte nicht geheim bleibt.

Anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erzählt Paul Glaser die Geschichte seiner Tante am Sonntag, 29. Januar 2023 um 15 Uhr in der Gedenkstätte Esterwegen.

Sein Kampf – Höckes nazistische Grundsatzrede vom 03.10.22 in Gera

4. Januar 2023

Rosdorf und das vergessene Neonazi-Verbrechen

2. Januar 2023

In der Silvesternacht 1990 wird Alexander Selchow in Rosdorf von Neonazis getötet. Jahrelang schwieg das Dorf dazu. Das soll sich ändern.

Hier geht es zum Clip des NDR: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Rosdorf-und-das-vergessene-Neonazi-Verbrechen,hallonds77692.html

Verleumdeter Widerstand

23. Dezember 2022

Vor 80 Jahren wurden elf Mitglieder der »Roten Kapelle« ermordet – Nora Noll (Neues Deutschland)

»Hoch- und Landesverrat« lauteten die Urteile. Das Strafmaß: Todesstrafe. Am Donnerstag vor 80 Jahren ermordete das NS-Regime die ersten elf Mitglieder der »Roten Kapelle«. Am 22. Dezember 1942 wurden fünf Männer erhängt, darunter Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack, und im Anschluss sechs weitere Widerstandskämper*innen wie Hans Coppi und Libertas Schulze-Boysen enthauptet. Weitere Hinrichtungen sollten folgen. Mindestens 45 Menschen, Mitglieder der »Roten Kapelle«, brachte das NS-Regime um.

Es war eines der größten Widerstandsnetzwerke in Deutschland. Es nannte sich nicht selbst »Rote Kapelle«. Das war eine Bezeichnung durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo). Künstlerinnen und Studenten, Arbeiter und Wissenschaftlerinnen hatten sich in kleinen Gruppen zusammengeschlossen, die wiederum in losem Austausch standen – ein Gefüge, das allein für Berlin auf rund 150 Personen geschätzt wird und auch in Belgien und Frankreich Kontakte hatte. Sie versteckten Verfolgte, verbreiteten Flugblätter in ihren Betrieben und auf der Straße, sammelten Informationen, um der Welt die Schrecken der NS-Dikatur zu zeigen, und unterstützten sich gegenseitig. Ab 1933 leistete die »Rote Kapelle« fast ein Jahrzehnt Widerstand.

Hier geht es zum Artikel im ND: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169516.rote-kapelle-verleumdeter-widerstand.html

Freispruch im Neukölln-Komplex

18. Dezember 2022

Gericht sieht keine Beihilfe von Faschisten bei Brandanschlag auf Linke-Politiker Kocak – Von Nick Brauns

Der Neonazi konnte das Berliner Gericht am Donnerstag nachmittag als freier Mann verlassen. Vom Amtsgericht Tiergarten war Tilo P. vom Vorwurf der Beihilfe zur Brandstiftung an den Autos des Linke-Politikers Ferat Kocak und eines Buchhändlers in der Nacht zum 1. Februar 2018 freigesprochen und sein Haftbefehl aufgehoben worden. Verurteilt wurde der 39jährige, der 2018 dem Bezirksvorstand der AfD Neukölln angehört hatte, lediglich zu einer Geldstrafe von 4.500 Euro wegen Sachbeschädigungen. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte dreieinhalb Jahre Haft gefordert. Das Verfahren gegen P.s Mitangeklagten Sebastian T. wird im Januar fortgesetzt. Der 36jährige frühere NPD-Aktivist hatte nach Ansicht der Staatsanwältinnen die Fahrzeuge angezündet, während P. Schmiere stand.

Hier geht es zum Artikel in der jW: https://www.jungewelt.de/artikel/440778.justiz-und-nazis-freispruch-im-neuk%C3%B6lln-komplex.html

„Noch immer nicht in der deutschen Erinnerungskultur angekommen“

4. Dezember 2022

Neuer NS-Opferverband vor der Gründung

von Dirk Farke/telepolis

Sozialrassistisch Verfolgung in Nationalsozialismus. „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ sind bis heute fast vergessene Opfer. Vor welchen Herausforderungen die Aufarbeitung steht.

Mal wieder richtig durchgreifen und aufräumen, das Verbrechen an seiner Wurzel packen, die Verbrecher ausmerzen und eine kriminalitätsfreie Deutsche Volksgemeinschaft gründen.

Mit diesen und ähnlichen Parolen erhielten die Nationalsozialisten auch die Zustimmung von Personen, die ihnen anfangs vielleicht noch fernstanden. Und auch in Teilen der postnationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ haben sie bis heute Konjunktur.

Unter dem Deckmantel der Verbrechensbekämpfung verfolgten die Nazis ab 1933 nicht allein politisch und „rassisch“ Unerwünschte – und wer kriminell ist, bestimmten sie selbst. Wer wegen eines Bagatelldeliktes, etwa Ladendiebstahl, Wäschediebstahl von einer Wäscheleine, oder auch Untreue, mehr als zweimal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde und diese Strafe abgesessen hatte, den deportierte die Kriminalpolizei unmittelbar in ein Konzentrationslager.

Grüne und schwarze Winkel

Das gleiche Schicksal traf auch andere sozial Deklassierte, etwa Bettler, Landstreicher, Wohnungslose, Alkoholkranke und Wanderarbeiter. Erstere erhielten einen grünen Stoffwinkel auf ihrer Häftlingsuniform und wurde damit als „Berufsverbrecher“ gekennzeichnet, letztere erhielten einen schwarzen Winkel und waren damit als „asozial“ stigmatisiert.

Es gehörte zur nationalsozialistischen Grundauffassung, dass jemand, auch ohne „Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher“ zu sein, allein durch sein „asoziales Verhalten“ die Allgemeinheit gefährdet. So formulierte zum Beispiel Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, in einem Erlass, dass, „das Verbrechertum im Asozialen seine Wurzeln hat und sich fortlaufend aus ihm ergänzt“. Die Polizei verhaftete Bettler direkt von der Straße weg und holte die Obdachlosen aus den Asyl-Unterküften.

Als Rechtsgrundlage hierfür diente das am 24. November 1933 erlassene „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ (Gewohnheitsverbrechergesetz). Vorbestrafte Menschen erhielten nun ohne richterliches Urteil und zeitlicher Begrenzung eine unbefristete Sicherungsverwahrung (SV) in einem Konzentrationslager, „wenn die öffentliche Sicherheit dies erforderte“.

Die in Deutschland bis heute angewendete SV basiert auf dem Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933 und war in den letzten Jahren wiederholt Anlass für öffentliche Debatten.

Hier geht es zum Artikel: https://www.heise.de/tp/features/Noch-immer-nicht-in-der-deutschen-Erinnerungskultur-angekommen-7364808.html

Die „Rote Kapelle“: Der Deutsche Widerstand darf nicht vergessen werden

1. Dezember 2022

Wie wird die Erinnerung an den Deutschen Widerstand wachgehalten? Unser Autor reflektiert über seine Bekanntschaft zu Hans Coppi – und seine Bildung in der DDR.

Heinrich Niemann

Vor 80 Jahren, im Jahre 1942, entdeckte die Gestapo eine Widerstandsgruppierung, die sie mit dem Namen „Rote Kapelle“ versah. Aus diesem breiten und Menschen aus den unterschiedlichsten politischen und sozialen Milieus erfassenden Widerstandsnetzwerk wurden 50 Menschen zum Tode verurteilt und Ende 1942 und 1943 ermordet. Vor einiger Zeit gab es in dieser Zeitung einen ausführlichen Beitrag zur Roten Kapelle.

Auch brachte die Diskussion um eine neue Biografie über Mildred Harnack diesen Widerstand in eine Medienöffentlichkeit. Die Literaturwissenschaftlerin war USA-Bürgerin und mit Arved Harnack, hoher Beamter im damaligen Reichswirtschaftsministerium, verheiratet. Ihr Name zählt zu den bekanntesten dieser Widerstandskämpferinnen. Ihr Schicksal ist sehr gut auch schon in der DDR erforscht und publiziert worden.

Hier geht es zum Artikel in der Berliner Zeitung: https://www.berliner-zeitung.de/open-source/die-rote-kapelle-der-deutsche-widerstand-darf-nicht-vergessen-werden-li.289611

Pogromzeit

28. November 2022

1992 erlebte Deutschland eine Welle rechten Terrors. Eines der Opfer: der Antifaschist und Hausbesetzer Silvio Meier, der vor 30 Jahren erstochen wurde Von Florian Osuch

Das Jahr 1992 war ein Höhepunkt neofaschistischer Gewalt in der Bundesrepublik. In keinem anderen Jahr wurden mehr Menschen durch Rassisten, Neonazis oder andere Rechte verletzt oder getötet. Von Kiel bis Freiburg, von Aachen bis Cottbus wurden Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge gejagt, Sinti und Roma angegriffen, Obdachlose erschlagen, Migrantinnen und Migranten in ihren Häusern verbrannt, Punks und Linke getötet. Vielfach wurden die politischen Motive der Taten bestritten. Doch selbst wenn rechtsextreme Hintergründe offensichtlich waren, wurden sie von Polizei, Justiz und etablierter Politik verschleiert.

Das rassistische Pogrom in Hoyerswerda im Sommer 1991 war der Auftakt zu einer Welle des rechten Terrors. Aus Teenagern wurden Brandstifter, wie am 3. Oktober 1991, als drei Jugendliche im Alter von 18 und 19 Jahren in Hünxe nahe Oberhausen ein Haus in Brand setzten, in dem eine libanesische Familie wohnte. Zwei Mädchen im Alter von acht und zehn Jahren wurden lebensgefährlich verletzt.

Der Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete in Saarlouis vom 18. September 1991 wird seit diesem Monat – 31 Jahre nach der Tat – vor Gericht verhandelt. Damals starb der 27jährige Samuel Kofi Yeboah aus Ghana. Angeklagt ist ein früherer Neonazi. Antifaschistische Gruppen aus dem Saarland hatten bereits kurz nach der Tat auf ein rassistisches Motiv und auf die lokale Neonaziszene aufmerksam gemacht. Interessiert hat das viele Jahre niemanden.

Hier geht es zum Artikel in der jW: https://www.jungewelt.de/artikel/439169.pogromzeiten-pogromzeit.html

Engerhafe: Veranstaltung zur Zwangsarbeit im II. Weltkrieg in Ostfriesland

17. November 2022

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