Gedenkveranstaltung in Emden

3. Februar 2020

Rede zum 87. Jahrestag der Machtübertragung an Hitler am 30. Januar 1933 von Sonja Ryll (VVN-BdA Ostfriesland)

„Wer des 27. Januar 1945 gedenkt, muss auch den 30. Januar 1933 mitdenken. Ursachen und Herkunft des Faschismus sind notwendige Bestandteile jeder Erinnerungsarbeit. … Das Gedenken an die Opfer muss verbunden sein mit der Erinnerung daran, wer die Täter waren. Das heißt: Benennung der Schuldigen und der Nutznießer an der Errichtung der nazistischen Herrschaft in Deutschland und an der Entfesselung des Krieges.“

Bei den zahlreichen Gedenkfeiern der letzten Tage wurde vorrangig der 6 Mio. ermordeten Juden gedacht, die der Vernichtung und industriellen Verwertung zum Opfer fielen. Wenige Worte waren anderen Volksgruppen wie den Sinti und Roma oder religiös Verfolgten gewidmet. Fast gar nicht Erwähnung fand der Raubzug und die Brandschatzung der deutschen Wehrmacht und ihrer Kollaborateure in allen überfallenen und besetzten Ländern, insbesondere die Ermordung von ca. 27 Mio. Sowjetbürgern. Keine Erwähnung fanden die Kriegsprofiteure und Auftraggeber des großen Schlachtens. Unerwähnt blieb auch die erste große Hatz auf die Kommunisten, die Verfolgung und Ausschaltung jeglichen Widerstandes, der sich im Land und in allen besetzten Gebieten organisierte, die große Solidarität unter den Verfolgten.

Und als die Häftlinge von Buchenwald schworen: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! So meinten sie das ernst, gibt es bis heute Überlebende, die ihr ganzes Leben diesem Ziel widmeten, wie Esther Bejarano.

Das Ziel ist noch nicht erreicht. Im Gegenteil, die globale und nationale Entwicklung erfordern verstärkte Anstrengungen und Widerstand gegen starke neofaschistische Tendenzen, Geschichtsrevisionismus, ausgeübten Staatsterrorismus, gegen die Hofierung und Ausstattung mit demokratischen Rechten von neofaschistischen Sammlungsbewegungen, gegen die Zunahme von Kriegen und deutsche Ambitionen wieder mitzumischen, gegen Kriegshandlungen, die von deutschem Territorium ausgehen.

Fakten der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Monate sprechen für sich:

  • Die BRD dient gegenwärtig als Aufmarschgebiet für 37 000 NATO-Soldaten im Manöver Defender 2020 gegen Russland.
  • In immer mehr Bundesländern sitzt die AfD in den Parlamenten, nutzt mit 89 Abgeordneten die Bühne des Bundestages, erhält eine Propaganda-Tribüne in Talk-Shows und offiziellen Medien
  • Mehr als 550 Soldaten und Offiziere der Bundeswehr werden vom MAD als „rechtsextrem“ eingestuft, insbesondere das KSK (Kommando Spezialkräfte).
  • Zahlreiche Netzwerke mit rechtsterroristischen Zielen bilden sich, z. B. das Hannibal-Netzwerk „Uniter“, die Prepper-Gruppe Nordkreuz, nicht zu vergessen die sogenannten Reichsbürger. Man spricht von einer „Schattenarmee“, da nicht nur der Online-Austausch, sondern insbesondere die Anhäufung von Waffen und Munition stattfinden, die Planung des Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung inbegriffen.
  • Verschärfung der Polizeigesetze, Übungsgebiete zur Zerschlagung von Volksaufständen wie in Schnöggersburg
  • Milde Urteile gegen „Rechtsextreme“ oder Vertuschung von Straftaten von Polizisten im Amt.
  • Tilgung des Faschismus-Begriffs aus dem offiziellen Sprachgebrauch, einhergehend mit der Revision der Geschichte, insbesondere der Verdienste der Sowjetunion bei der Befreiung vom Faschismus.
  • Aber: Verbot der Internetplattform linksunten.indymedia.org
  • Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Bundesorganisation des VVN-BdA
  • Am letzten Samstag wurden ca. 200 Antifaschisten, darunter zahlreiche Überlebende des Naziterrors und deren Angehörige, von der Polizei mit Hunden von der Teilnahme am Gedenken an der Stele für die Opfer der Zwangsarbeit auf dem Parkfriedhof in Berlin Marzahn-Hellersdorf brutal abgedrängt, um das „stille Gedenken“ von 60 Vertretern der Bezirksverordnetenversammlung, darunter 15 Mitgliedern der AfD und der Linken-Abgeordneten Petra Pau nicht zu stören. 120 Polizisten wurden eingesetzt, um der AfD das „stille Gedenken“ für Opfer des Naziregimes zu ermöglichen. Das nennt sich „Demokratie“.

Die faschistische Hitlerdiktatur ist über Jahre und mit Unterstützung politisch reaktionärer Kreise sowie insbesondere der Rüstungsindustrie und des Finanzkapitals an die Macht gebracht worden, so wie die AfD ihren Nährboden in unserer Gesellschaft findet. Es bestätigt die Einschätzung der Kommunistischen Internationale von 1933:

„Der Faschismus an der Macht ist die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“

Aber es wächst weltweit auch der Widerstand gegen Krieg, Ausbeutung, Unterdrückung, die alles Leben bedrohenden Klimakatastrophen. Die Fragen nach den Ursachen werden lauter, die Forderung eines Systemwechsels tritt mehr und mehr in den Vordergrund. Ein Einhalten, eine Veränderung gibt es nicht ohne Kampf. Und diese Kämpfe beginnen erst. Auch wir sind gefordert.