Pressemitteilung des DIZ Emslandlager:
7. Juni 2023
Kündigung wegen Eigenbedarf?
Existenz des DIZ Emslandlager massiv gefährdet
Die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen hat dem seit 1985 bestehenden Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager kurzfristig zum 15. Juni 2023 sein Büro in der Gedenkstätte Esterwegen gekündigt. Mit diesem bundesweit einmaligen Akt geht die Stiftung unter dem Vorsitz des Landrats des Landkreises Emsland, Marc-André Burgdorf, mit aller Härte gegen das bürgerschaftlich getragene DIZ vor und gefährdet so bewusst seine Existenz.
Die Stiftung begründe die Kündigung, so Prof. Dr. Habbo Knoch, der Vorsitzende des Aktionskomitees für ein DIZ Emslandlager e.V., mit eigenem Nutzungsbedarf und berufe sich auf ihr „Hausrecht“. Inhaltliche Argumente oder gar ein schuldhaftes Verhalten des DIZ würden nicht angeführt. „Tatsächlich dient dieser Schritt ausschließlich dazu“, so Knoch, „die seitens der Stiftung zuletzt mit wachsender Vehemenz erhobene Forderung nach einer Selbstauflösung des DIZ zu erzwingen“. Gebäudefläche sei auf dem Gedenkstättengelände schließlich ausreichend vorhanden.
Durch die Kündigung soll dem DIZ jede Möglichkeit genommen werden, seine eigenen Bestände vor Ort zu erschließen und die Arbeit der Gedenkstätte mit ihren Angeboten zu bereichern. Das DIZ hatte 2011 auf Einladung des Landkreises Emsland seinen Sitz von Papenburg vertrauensvoll in die neu eröffnete Gedenkstätte verlegt und deren Arbeit vor Ort maßgeblich aufgebaut und durchgeführt. Im Gegenzug sicherte die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen dem DIZ angemessene Räumlichkeiten für seine Tätigkeit, seine Bibliothek und seine umfangreiche Sammlung zu, auf der die Dauerausstellung der Gedenkstätte zu großen Teilen beruht.
„Es leuchtet mir und vielen anderen überhaupt nicht ein“, so Knoch, „warum die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen sich nun seit Jahren standhaft weigert, einen fairen Modus Vivendi für die Zusammenarbeit mit dem DIZ und seinem Trägerverein zu finden.“ Die Kündigung widerspreche nicht nur allen bisherigen Vereinbarungen, sondern auch den Bedingungen der Bundes- und Landesförderung für den Aufbau der Gedenkstätte, der eine institutionelle Beteiligung des DIZ zugrunde lag. Noch im Dezember 2019 hatten sich Stiftung und Aktionskomitee darauf verständigt, die „Zusammenarbeit von Stiftung und DIZ, das auch zukünftig mit eigenem Personal die Arbeit der Gedenkstätte mitgestalten wird“, fortzusetzen (Pressemitteilung Landkreis Emsland, 6.12.2019).
Knoch bewertet die Kündigung als eine „gravierende Missachtung des Vertrauensschutzes für einen bürgerschaftlichen Verein“ und einen „offensichtlichen Wortbruch durch die kommunalen Verantwortungsträger für die Gedenkstätte“. Es handele sich um „einen geschichtspolitischen Skandal und ein kulturpolitisches Armutszeugnis“, da die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen eine gemeinsame Nutzung der jahrzehntelangen Erträge der international renommierten Arbeit des DIZ gezielt verhindere. „Nicht nur das DIZ wird durch das unsinnige Verhalten der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen in seiner Existenz gefährdet“, so Knoch, „sondern auch eine umfassende, opferorientierte Erinnerung nachhaltig beschädigt, für die das DIZ mit seinen Selbstzeugnissen zu weit über tausend Opfern der Emslandlager seit Jahrzehnten einsteht und nicht nur von den Überlebenden und Angehörigen hinaus in höchstem Maße geschätzt wird.“ Die Stiftung dürfe sich mit einem solchen „Angriff auf die bürgerschaftliche Säule der bundesdeutschen Gedenkstättenarbeit“ nicht durchsetzen.
Zum Hintergrund
Das 1985 gegründete DIZ Emslandlager gehört zu den ersten bürgerschaftlich getragenen Gedenkstätten in der Bundesrepublik. Unter Leitung von Kurt Buck hat das DIZ von der Stadt Papenburg aus mehr als 25 Jahre die Erinnerungsarbeit an die Häftlinge und Gefangenen der Emslandlager verantwortet. Der enge Austausch mit den Überlebenden und Angehörigen, eine umfangreiche Bildungsarbeit und der Aufbau einer exzeptionellen Sammlung insbesondere von schriftlichen, materiellen und audiovisuellen Selbstzeugnissen und anderen Quellen zu weit mehr als eintausend Verfolgten haben das DIZ zu einer regional, national und international höchst anerkannten Gedenkstätte werden lassen. Verantwortlich für die Kündigung ist die Trägerin der Gedenkstätte, die vom Landkreis Emsland gegründete und getragene Stiftung Gedenkstätte Esterwegen. Vorsitzender des Stiftungsvorstandes ist der Landrat des Landkreises, Marc-André Burgdorf. Am historischen Ort des Konzentrations- und Strafgefangenenlagers Esterwegen erinnert die Gedenkstätte seit 2011 an die Geschichte der 15 nationalsozialistischen Konzentrations-, Straf- und Kriegsgefangenenlager, die zwischen 1933 und 1945 im Emsland und in der Grafschaft Bentheim bestanden haben.
Durch die Kündigung wird eine kontinuierliche Arbeit des DIZ mit der eigenen Sammlung ebenso verhindert wie die Wahrnehmung ortsgebundener Aufgaben für Personal und ehrenamtliche Mitarbeiter:innen des DIZ, etwa der Kontakt zu Überlebenden oder Angehörigen, die die Gedenkstätte besuchen.
Sie ist der bisherige Höhepunkt in einem seit einigen Jahren seitens der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen mit aller Macht gegen das DIZ und seinen Trägerverein geführten Verdrängungskampfs, in dem die Stiftung kompromisslos auf ihr alleiniges inhaltliches Bestimmungs- und personelles Dienstrecht über die in der Gedenkstätte ausgeübte Erinnerungsarbeit pocht.
Die Kündigung steht in einem eklatanten Widerspruch zu allen früheren Vereinbarungen zwischen dem Aktionskomitee und dem Landkreis Emsland sowie der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen. Das DIZ ist 2011 der Einladung des Landkreises Emsland gefolgt, seinen Sitz in die neu gegründete Gedenkstätte Esterwegen zu verlegen, um die „Zusammenarbeit vor Ort vertrauensvoll mit Leben zu erfüllen“ (Landkreis Emsland an Aktionskomitee, 23.8.2008). Auf der Basis einer Kooperationsvereinbarung hat das
DIZ die praktische Gedenkstättenarbeit am Ort der Gedenkstätte eigenständig aufgebaut und ein Jahr-
zehnt lang durchgeführt.
Nach dem altersbedingten Ausscheiden der Mitarbeiter:innen des DIZ wurde der beiderseitige Wille zur Kooperation 2019 in einer gemeinsamen Presseerklärung von Stiftung und Aktionskomitee bekräftigt. Ausdrücklich begrüßte der Landrat in diesem Zusammenhang auch die Fortführung der seit 1993 be-
stehenden Förderung der Leitungsstelle des DIZ durch das Land Niedersachsen, die seit 2004 durch die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten wahrgenommen wird. Das DIZ wird von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten als förderungswürdige Einrichtung eingestuft und erhält entsprechende Mittel für die Stelle einer wissenschaftlichen Mitarbeiter:in. Die Kündigung erfolgt mitten in dem laufenden Besetzungsprozess für diese Stelle, worüber die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen im Bilde ist.
Mit der Kündigung eskaliert ein seit 2020 seitens der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen betriebenes Vorhaben, das DIZ systematisch aus der Gedenkstätte zu verdrängen. Die Stiftung hat sich zuletzt jeglicher Versuche verweigert, eine gedeihliche Zusammenarbeit und zukunftsfähige Kooperationsverein-
barung zu finden, die das DIZ als institutionellen Partner anerkennt. Seit zwei Jahren lehnt es der zuständige Landrat ab, bilaterale Gespräche zu führen oder knüpft sie an die Voraussetzung einer Auflösung des DIZ durch den Verein. Konstruktive Vermittlungsversuche der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten wurden seitens der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen mehrfach abgelehnt.Die Kündigung ist in der Geschichte der bundesdeutschen Gedenkstätten einmalig. Sie richtet sich ge-
gen die bürgerschaftliche Säule der bundesdeutschen Gedenkstättenarbeit und steht den Grundprinzipien einer demokratischen Erinnerungskultur und subsidiären Kulturpolitik diametral entgegen, für die das bürgerschaftliche Engagement und die personellen wie materiellen Ressourcen des DIZ eine nicht zu ersetzende Bereicherung darstellen sollten, statt von kommunaler Seite aus der Mitgestaltung der Gedenkstättenarbeit mit aller Macht verdrängt zu werden. Das Vorgehen der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen ist ein kommunaler Sonderweg des Landkreises Emsland: Er steht im deutlichen Widerspruch zu den Koalitionsvereinbarungen der Bundesregierung und der niedersächsischen Landesregierung, die eine Förderung und einen Ausbau der gerade für die Bundesrepublik prägenden bürgerschaftlichen Säule der Gedenkstättenarbeit vorsehen.
Gleichwohl ist das Aktionskomitee DIZ Emslandlager weiterhin dazu bereit, seine Ressourcen, Kompetenzen und Kontakte wie bisher aktiv und konstruktiv in die Arbeit der Gedenkstätte am historischen Orteinzubringen. Vorstand und Vereinsmitglieder haben sich eindeutig dafür ausgesprochen, gemeinsam mit der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen nach einer Möglichkeit zu suchen, die Selbstzeugnisse und damit die lebensgeschichtliche Perspektive auf Widerstand, Verfolgung und Selbstbehauptung in einer eigenständigen und sichtbaren Institution auf dem Gelände der Gedenkstätte zu verankern, um sie der Bildungsarbeit, der wissenschaftlichen Forschung und dem öffentlichen Interesse zugänglich zu machen.
Ein solcher Speicher der Erinnerungen von 1933 bis in die Gegenwart wäre ein bundesweites Leuchtturmprojekt, für das Fördermittel des Landes bereits avisiert worden und des Bundes zu erwarten sind.
Bleibt die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen allerdings bei ihrer abwehrenden Haltung gegenüber dem DIZ, wird der Verein die Realisierung dieses Projekts eigenständig anstreben müssen. Durch ihre Kündigung nimmt die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen in Kauf, mit dem DIZ und seiner Sammlung auch
das kulturelle Gedächtnis der Opfer der 15 Emslandlager aus der Gedenkstätte und von einem histori-
schen Ort ihres Leidens zu verweisen.
Weitere Informationen zum DIZ Emslandlager unter: https://diz-emslandlager.de
PS: In Kürze erhalten erscheint die erste Ausgabe unserer neuen Reihe „Häftlinge und Gefangene der Emslandlager. Porträts“. Sie ist Hanns Kralik gewidmet, der unter anderem das Liedblatt des „Moorsoldatenliedes“ gestaltet hat. Ein großer Dank geht an Ralf Zimmermann aus Köln für seine Unterstützung dieses Projekts. Wir werden die Reihe in loser Folge fortsetzen. – Am 27. August veranstaltet das DIZ aus Anlass des 90. Jahrestags der ersten Aufführung des „Moorsoldatenliedes“ im KZ
Börgermoor das Konzert „Und weil der Mensch ein Mensch ist“ mit der Gruppe „Die Grenzgänger“ (Kleines Theater im Neuen Forum in Papenburg, 20 Uhr). Mit Cello, Akkordeon und zwei Gitarren feiern
die Musiker aus Bremen den Mut, die Hoffnung, die Zivilcourage und auch die Leichtigkeit, mit der diese Menschen auf ihre Situation reagiert haben.