„Noch immer nicht in der deutschen Erinnerungskultur angekommen“
4. Dezember 2022
Neuer NS-Opferverband vor der Gründung
von Dirk Farke/telepolis
Sozialrassistisch Verfolgung in Nationalsozialismus. „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ sind bis heute fast vergessene Opfer. Vor welchen Herausforderungen die Aufarbeitung steht.
Mal wieder richtig durchgreifen und aufräumen, das Verbrechen an seiner Wurzel packen, die Verbrecher ausmerzen und eine kriminalitätsfreie Deutsche Volksgemeinschaft gründen.
Mit diesen und ähnlichen Parolen erhielten die Nationalsozialisten auch die Zustimmung von Personen, die ihnen anfangs vielleicht noch fernstanden. Und auch in Teilen der postnationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ haben sie bis heute Konjunktur.
Unter dem Deckmantel der Verbrechensbekämpfung verfolgten die Nazis ab 1933 nicht allein politisch und „rassisch“ Unerwünschte – und wer kriminell ist, bestimmten sie selbst. Wer wegen eines Bagatelldeliktes, etwa Ladendiebstahl, Wäschediebstahl von einer Wäscheleine, oder auch Untreue, mehr als zweimal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde und diese Strafe abgesessen hatte, den deportierte die Kriminalpolizei unmittelbar in ein Konzentrationslager.
Grüne und schwarze Winkel
Das gleiche Schicksal traf auch andere sozial Deklassierte, etwa Bettler, Landstreicher, Wohnungslose, Alkoholkranke und Wanderarbeiter. Erstere erhielten einen grünen Stoffwinkel auf ihrer Häftlingsuniform und wurde damit als „Berufsverbrecher“ gekennzeichnet, letztere erhielten einen schwarzen Winkel und waren damit als „asozial“ stigmatisiert.
Es gehörte zur nationalsozialistischen Grundauffassung, dass jemand, auch ohne „Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher“ zu sein, allein durch sein „asoziales Verhalten“ die Allgemeinheit gefährdet. So formulierte zum Beispiel Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, in einem Erlass, dass, „das Verbrechertum im Asozialen seine Wurzeln hat und sich fortlaufend aus ihm ergänzt“. Die Polizei verhaftete Bettler direkt von der Straße weg und holte die Obdachlosen aus den Asyl-Unterküften.
Als Rechtsgrundlage hierfür diente das am 24. November 1933 erlassene „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ (Gewohnheitsverbrechergesetz). Vorbestrafte Menschen erhielten nun ohne richterliches Urteil und zeitlicher Begrenzung eine unbefristete Sicherungsverwahrung (SV) in einem Konzentrationslager, „wenn die öffentliche Sicherheit dies erforderte“.
Die in Deutschland bis heute angewendete SV basiert auf dem Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933 und war in den letzten Jahren wiederholt Anlass für öffentliche Debatten.
Hier geht es zum Artikel: https://www.heise.de/tp/features/Noch-immer-nicht-in-der-deutschen-Erinnerungskultur-angekommen-7364808.html