Bis zum zweiten Tod

9. April 2021

Widerstand im KZ: Vor 20 Jahren starb Emil Carlebach

Irgendwo oben auf dem Ettersberg starb in der Nacht vom 4. auf den 5. April 1945 der Häftling Nr. 4186 das erste Mal. Dort zwischen Stacheldraht, Todeszonen und den Wachtürmen des KZ Buchenwald, nach 4.280 Tagen in deutschen KZ, starb er, um weiterzuleben als »Franzose« – statt noch kurz vor der Befreiung »evakuiert«, also getötet zu werden. So beschreibt Emil Carlebach in seinem Buch »Tote auf Urlaub« seine Gedanken der Nacht, in der er und andere Häftlinge eine »Meuterei« unternahmen.

Er starb, um weiterzukämpfen – weitere 56 Jahre, bis er dann endgültig vor 20 Jahren, am 9. April 2001, aus dem Leben schied. Einem Leben, dem das »Kommunistsein« nicht durch Tradition oder soziale Lage vorherbestimmt war. Denn geboren wurde Carlebach 1914 in eine patriotisch gesinnte, bürgerlich-jüdische Familie als Sohn eines Kaufmannes in Frankfurt am Main. Die Arbeiterbewegung war ihm fremd. Das änderte sich erst mit dem staatlichen Doppelmord an den beiden Arbeitern Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti in den USA, der damals eine weltweite Solidaritätsbewegung auslöste. Auch den jungen Emil empörte dieser allzu offensichtliche Ausdruck der Klassenjustiz zutiefst. Er begann sich für die Arbeiterbewegung zu interessieren; Massenarbeitslosigkeit und faschistischer Straßenterror taten ihr übriges. Carlebach nahm über Mitschüler Kontakt zum Kommunistischen Jugendverband auf – und trat mit 18 Jahren in die KPD ein. 1934 bezahlte er dieses Engagement mit seiner Verhaftung, der etliche Jahre Folter und Terror in deutschen Konzentrationslagern folgten. Zunächst Gefängnishaft. Im Anschluss das KZ Dachau. Dann Buchenwald. Dort blieb er bis 1945.

Es kann nicht auf alles eingegangen werden, was Emil Carlebach im KZ widerfuhr. Er hat es selbst eindringlich beschrieben im bereits genannten Buch. Doch an eines muss erinnert werden, will man an Carlebach erinnern. Dass die KZ eine Welt des Terrors, der willkürlichen Ermordungen und der Folter waren, ist über 75 Jahre nach 1945 bekannt – wenn auch nicht begreiflich. Dass sie aber auch ein Ort der Solidarität, des Internationalismus und des Widerstands waren, findet in der geschichtlichen »Aufarbeitung« wenig Widerhall. Oder wird gar geleugnet. Wahrheit bleibt aber, dass es Widerstand gab. Nicht nur einzelnen, sondern organisierten Widerstand, der in der Selbstbefreiung Buchenwalds gipfelte.

Hier geht es zum Artikel in der jungen Welt: https://www.jungewelt.de/artikel/400188.antifaschismus-bis-zum-zweiten-tod.html