Dreißig Jahre Deutsche Einheit – ein kritischer Rückblick
5. Oktober 2020
FIR-Newsletter
Während die deutsche Bundesregierung und andere Institutionen an diesem Wochenende bei zahlreichen Gelegenheiten das 30. Jubiläum der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 feiern, haben die FIR und ihre Mitgliedsvereinigungen Grund, eine kritische Bilanz zu ziehen.
Wir vergessen nicht, dass mit diesem Datum nicht nur die DDR, die von ihrem Selbstverständnis ein antifaschistischer Staat war, der BRD angeschlossen wurde und damit alle ihre Errungenschaften auf den Prüfstand der Verwertbarkeit im Sinne der neuen Politik gestellt wurden, sondern dass viele sozialpolitische Regelungen im Sinne der Veteranen des antifaschistischen Kampfes in Frage gestellt waren. Zwar existierten noch Ehrenrenten für die „Opfer des Faschismus“. Wer aber „staatsnah“ im Sinne der DDR gearbeitet hatte – und viele Widerstandskämpfer haben sich für diesen antifaschistischen Staat eingesetzt –, der verlor den Anspruch auf diese Leistung.
Wir vergessen nicht, dass faschistische Täter, die in der DDR zu lebenslanger Haft verurteilt waren, nun wegen „Unrechtsjustiz“ freigelassen wurden, während der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke, 1992 auf der Grundlage von faschistischen Verfolgungsakten wegen eines vorgeblichen „Mordes“ an zwei Polizeibeamten im Jahre 1931, zu 6 Jahren Haft verurteilt wurde und natürlich seine Ehrenrente verlor.
Wir vergessen nicht, dass bereits am 3. Oktober 1990 zahlreiche gewalttätige Übergriffe neonazistischer Gruppen nicht allein in der ehemaligen DDR, sondern auch in der alten BRD gegen politische Linke und Ausländer stattfanden. Das waren Vorboten zu den späteren rassistischen Pogromen in Hoyerswerda, Mölln, Rostock-Lichtenhagen und Solingen.
Wir vergessen nicht, dass mit dieser Vereinigung eine Verdrängung antifaschistischer Erinnerung in allen Teilen der ehemaligen DDR begann, indem Gebäude und Institutionen ihre z.B. an Widerstandskämpfer erinnernde Namen verloren, Straßennamen mit der Erinnerung selbst an KZ-Häftlinge in politisch genehme Personen umbenannt wurden. Zudem erlebten wir massive politische Angriffe auf die Nationalen Mahn- und Gedenkstätten an Orten ehemaliger Konzentrationslager und andere Erinnerungsorte.
Solche Formen von Geschichtsverdrängung und Geschichtsrevision haben nicht nur die deutschen Antifaschisten vor 30 Jahren erleben müssen, sondern in vielen Ländern der ehemaligen sozialistischen Staatengemeinschaft fanden solche Angriffe auf die antifaschistische Erinnerung statt. Bis heute erleben wir solche Bestrebungen vom Baltikum über Polen und Kroatien sowie anderen Ländern, wobei sich die Verbände der FIR und Vertreter der Zivilgesellschaft mit ihren Protesten dagegen hörbar zu Wort melden.
Wir vergessen nicht, dass vor 30 Jahren Regierungen in Mittel- und Osteuropa dazu übergingen, die materielle Unterstützung für die Arbeit der Veteranen- und Verfolgtenverbände massiv einzuschränken, teilweise sogar ganz zu streichen. Damit wurde versucht, der antifaschistischen Gedenk- und Erinnerungsarbeit die Grundlage zu entziehen. Doch es war schon damals ein Zeichen der Lebendigkeit der Idee des Antifaschismus, dass es in fast allen Ländern gelang, auf der Basis neuer Strukturen die Organisationen bzw. die politische Erinnerungsarbeit am Leben zu halten. Als die DDR am 3. Oktober 1990 der BRD angeschlossen wurde, existierten bereits arbeitende Strukturen eines „Bundes der Antifaschisten“ und eines „Interessenverbandes ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener“ (IVVdN), der bis zur Vereinigung mit der VVN-BdA im Jahre 2002 in der FIR vertreten war.
Die FIR dankt allen Antifaschistinnen und Antifaschisten, die in jener Zeit der politischen Umbrüche aktiv für die Ideale der antifaschistischen Erinnerungsarbeit und gegen das Wiederaufleben neofaschistischer Kräfte eingetreten sind. In ihrer Tradition setzten wir heute die politische Arbeit fort.